Der Dannenröder Forst – Kurz vor der Räumung

Der Dannenröder Forst – Kurz vor der Räumung

Stellvertreterkampf für das Klima?

Ein subjektiver Eindruck von zwei Tagen Dannenröder Forst

Lautes Stimmengewirr und reges Treiben, wie bei einem Festival, schallt einem entgegen, wenn man die kleine Straße aus Dannenrod in Richtung Dannenröder Forst entlangläuft. Autos parken den gesamten Straßenrand zu. Die Feldküche der Aktivist:innen zur Rechten, weiter oben ein großes Zeltlager, samt Rezeption. Meist stehen drei oder mehr Menschen hinter der Theke des bunten Zelts. Sie helfen einem bei allem weiter, wonach man fragt. Überall tummeln sich Aktivist:innen. Mit Maske, meist dick eingepackt in Winterklamotten.

Der Dannenröder Forst

Das Zeltlager hinter sich gelassen bleiben auch die Stimmen hinter einem zurück. Umso näher man dem Wald kommt umso stiller wird es. Der Dannenröder Forst, ist ein mehr als 250 Jahre alter Mischwald in Mittelhessen. Seine ökologische Qualität ist hoch, das Gebiet ist zudem Trinkwasserschutzgebiet. Mitten durch diesen Wald soll eine Autobahn gebaut werden.

 

Unterhalb des Waldes und entlang der geplanten Autobahn liegt ein großer Grundwasserkörper, der die wichtigste Wasserversorgung von Mittelhessen darstellt. Ein Teil des Waldes, der als Vorzeigeprojekt für nachhaltige Forstwirtschaft gilt, geht durch die Rodungen verloren. Die Risiken für das Grundwasser sind umstritten. Im besten Fall greifen die beim Bau geplanten Schutzmaßnahmen, im schlimmsten Fall geht die Trinkwasserversorgung verloren. Über dem Eingang des Waldes haben Menschen die Worte „Planet B ?“ aufgehängt. Mit dieser Frage im Kopf betritt man die Stille und schlängelt sich durch die ersten Barrikaden, die die gleichen Menschen gebaut haben.

Statt Ruhe gibt es Barrikaden

Der Wald birgt etwas ruhiges und schönes. Sanft liegt der Schnee zwischen Bäumen und Unterholz. Der Weg ist gezeichnet von Fußspuren. Alles ist matschig und schlammig. Gelegentlich begegnen uns Menschen, einige Schweigen, andere Unterhalten sich, die übrigen Grüßen freundlich.

Es gibt viele Abzweigungen. Irgendwann fragt man besten, wie man zum „Camp Oben“, so haben die Besetzer:innen ihr Heim im Wald getauft, kommt und stapft weiter durch Schlammpfüzen, bis man wieder Stimme durch den Wald hören kann. Und dann tritt man plötzlich auf die gerodete Trasse. Es wirkt wie ein großes Schlachtfeld, aus einem Film. Überall sind Holzbarrikaden aufgetürmt, die das Heranrücken von schwerem Gerät verhindern sollen. Auf der einen Seite, hinter NATO-Draht und Zäunen, die Hundertschaften der Polizei, die Harvester und Baustelle bewachen, auf der anderen Seite das Protestcamp. Baumhäuser, Barrikaden aus Holz und viele Menschen, die auf kleinen Plattformen in den Bäumen sitzen. Mit Rettungsdecken schützen sie sich vor der Kälte, während sie stundenlang ausharren. Menschliche Schutzschilde gegen die Rodung. Mir fällt Asterix und Obelix ein, Gallier gegen Römer, nur ohne Zaubertrank.

Ein ungleicher Kampf

Erst am Morgen hat es Auseinandersetzungen mit der Polizei gegeben. Beide Seiten sind in Alarmstellung. Auf den ersten Blick wirkt das Lager chaotisch, doch nach und nach versteht man den Aufbau. Aus der Ferne, dem Zeltlager, wird die Versorgung für das „Camp Oben“ organisiert. Im „Camp Oben“ leben Menschen in den Baumhäusern, die am schwersten zu räumen sind. Sie dienen ebenso als Ausguck. Am Boden sammeln sich die Menschen, die sich der Polizei direkt entgegenstellen. An einem kleinen Lagerfeuer wird sich gewärmt, einige bauen Barrikaden, andere unterhalten sich. Ein paar Kamerateams dokumentieren das Treiben. Plötzlich ertönt aus den Bäumen ein Signalhorn . Gegenüber verlassen Polizist:innen in Reih und Glied den umzäunten Bereich. Eine Drohne steigt auf.

 

Die Schlacht beginnt

Erstmal müssen sich auch die Polizist:innen durch den Schlamm arbeiten, viele stolpern. Die Taktik der Polizei ist durchdacht. Erst links flankieren, dann rechts. Danach durch die Mitte den Kreis schließen, um einen sogennanten Kessel um das Camp zu bilden. Die Aktivist:innen bilden Menschenketten und stellen sich friedlich den Beamt:innen entgegen.

Schlussendlich werden sie Stück für Stück ins Camp und hinter die Barrikaden zurückgedrängt. Die Hindernisse und die „Tripods“ auf der Freifläche sollen geräumt werden. „Der Rettungsweg“ müsse freigehalten werden, wird als Grund per Lautsprecher durchgesagt. Die Aktivist:innen werten es als Provokation und vorbereitende Maßnahme für die Räumung. Immer wieder schallen laute Sprechchöre und Rufe der Aktivist:innen durch den Wald. „Ihr seid nur gut bezahlte Hooligans“, ist einer davon.

Für den nächsten Tag ist noch eine letzte Demonstration geplant. Das Aktionsbündnis „Keine A49!“ und „Wald statt Asphalt“ haben zum „Waldspaziergang“ geladen. Auch das Bündnis „Ende Gelände“ ist vor Ort. Viele Menschen werden erwartet. In der Woche darauf rechnet man mit der finalen Räumung.

Nachdem der Kessel geschlossen ist und es vereinzelte Scharmüzel mit der Polizei gab, rückt der Abbruchgreifer und die Höhenkletter-Teams der Polizei an. Letztere werden von den Aktivist:innen „Kletter-Cops“ getauft. Diese sollen vor allem die Räumung der Tripods vornehmen. Ein Tripod ist ein Gestell aus drei großen Stämmen, in dessen Mitte eine Schaukel aufgehängt wird. Hier nimmt ein Mensch, in mehreren Metern Höhe, platz und muss aufwendig geräumt werden. An der einen Stelle geht das sehr sanft, an anderen gibt es blutige Nasen.

Einzelne Polizist:innen gehen bei der Aktion unnötig hart vor, einzelne Aktivist:innen beleidigen sinnlos. An anderen Stellen entwickeln sich zwischen beiden Parteien konstruktive Gespräche und Austausch von Gedanken. Diese Feinheiten gehen leider in der Polemik des öffentlichen Diskurses oft unter. Hier hört man immer nur von den handfesteren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Meißt aus Perspektive der Beamt:innen, die schnell und effektiv Pressemitteilungen verbreiten. Man darf nicht vergessen: vor Ort, mehrere Hunderschaften der Polizei. Jeden Tag waren bis zu 2.000 Beamt:innen im Einsatz.

Die Exekutive führt aus, was Gerichtsbeschlüsse mehrfach bestätigt haben. Der Wald wird gerodet. Das Lager geräumt. Entscheider:innen aus Politik sind nicht vor Ort. Die Befehle stellt niemand in Frage. Da hilft auch nicht der Sprechchor: „Es gibt ein Recht auf Dienstverweigerung.“ Die Reihen der Polizei bleiben gesschlossen. Die der Aktivist:innen auch. Für sie ist es neben dem Kampf um und für den Wald, ein Kampf gegen das System geworden, das sie augenscheinlich nicht anhört. Bemerkenswert kann man die veröffentlichen Zahlen, des eimonatigen Einsatzes, finden: Mehr als 3.200 Identitäten überprüft, 2.500 Platzverweise ausgesprochen, 500 Bauten in drei Wäldern geräumt und mehr als 1.000 Personen vorübergehend in Gewahrsam genommen.

Die Fronten bleiben stundenlang aufrechterhalten

Die heutige Räumungsaktion der Barrikaden zieht sich über Stunden, bis in die Dunkelheit hinein. Als die Polizei sich schließlich zurückzieht, folgen einige wenige Aktivist:innen und beginnen erneut mit dem Aufbau von Barrikaden. Vereinzelt kommt es zu Schneeballwürfen auf die beiden Wasserwerfer hinter dem Zaun. Nach mehrfacher Androhung setzt die Polizei diese gegen die Barrikadenbauer:innen ein.

 

Die breite Öffentlichkeit bekommt von den schlachtfeldartigen Zuständen, mitten in Deutschland, nicht viel mit. Es ist eine bizarre Atmosphäre in der kalten Winternacht.

Der nächste Tag, die Demonstration und Stimmen der Menschen

Der nächste Tag beginnt ruhiger, im Dannenröder Forst, auch wenn viel mehr Menschen da sind. Wir erkunden das „Camp Oben“ und kommen mit „Haselmaus“, der auf einem kleinen Podest, in etwa fünf Meter Höhe, sitzt, ins Gespräch. Nachdem wir die Leiter erklommen haben unterhalten wir uns über seine Perspektive der Besetzung.

 

„Die Besetzung wird den Bau der Autobahn nicht verhindern, aber die Debatte im öffentlichen Diskurs erweitern.“

Haselmaus

„Spätestens Dienstag wird das hier Geschichte sein“, sagt Haselmaus, so wird der 46-Jährige im Wald genannt. Er spricht gefasst, doch man spürt seine Traurigkeit. Er blickt vom Podest aus über die Köpfe der andere Aktivist:innen hinweig auf die bereits gerodete Schneise. Im September 2019 war er das erste Mal hier im Dannenröder Forst. Als sich die Lage um den Ausbau der A49 verschärfte, will er ein Zeichen setzten.

„Dass es so nicht weiter geht, die Lebensgrundlagen zu zerstören!“, sagt der gelernte Baumpfleger. Konterminierte Böden, Lichtverschmutzung, Lärmbelästigung und der Ausbau von Gewerbegebieten sind nur ein paar der Themen, die Haselmaus im Zusammenhang mit dem Ausbau der Autobahn umtreiben und Grund für seine Teilnahme an der Besetzung des Dannenröder Forstes sind:

„Die A49 wird beworben als neue Europa-Nord-Süd-Strecke. Seit Jahren argumentieren wir für lokale Kreisläufe, maximal regional, und nur in Ausnahmen, Produkte von weiter her. Aber was sie hier machen ist rückwärts-gewand, es ist das glatte Gegenteil, wie das so: hier gemolken, in Griechenland verkäst und in der Türkei verpackt und dann wieder in Norddeutschland verkauft“.

Mit „sie“ meint Haselmaus die Politker:innen, die dem Autobahn-Ausbau zustimmten oder ihn nicht verhindert haben. Auch die Besetzung des Forstes wird nicht dazu führen, sie umzustimmen und ein Umdenken zu bewirken, da ist er sich sicher. „Die Besetzung wird den Bau der Autobahn nicht verhindern, aber die Debatte im öffentlichen Diskurs erweitern.“ Genau darum geht es den Aktivist:innen. Für sie steht der Dannenröder Forst symptomatisch für aktuelle Klimapolitik.

Haselmaus Blick wandert in Richtung der Polizist:innen. Er wirkt gefestigt und klar. Aber es geht hierbei nicht um einen verbitterten Kampf, um die letzten stehen gebliebenen Baumterrassen, die es zu verteidigen gilt.

Die Motivation, die Haselmaus dazu bewogen hat, so oft wie möglich Zeit im „Danni“ zu verbringen, ist viel tiefgreifender: „Auch hier wo es um die Verhinderung eines ‚Dinosaurier-Verkehrs-Planungs-Mammuts-Projekt‘ geht, bin ich mit Leib und Kopf und Herz für eine andere Gesellschaft, für ein anderes Miteinander, für ein anderes Wirtschaften.” Er hält kurz inne und ergänzt dann selbst: “Jetzt die Frage, was ist jetzt anders, platt gesagt: sozial, ökologisch, emanzipiert und das gilt es über viele Abende und Nächte miteinander zu finden.”

Deshalb soll der Kampf für ihn und die anderen Aktivist:innen auch weitergehen, wenn das Barrio „Oben“ aufgelöst wurde. „Wie heißt es so schön: ‚Ihr könnt unsere Baumhäuser zerstören, aber nicht die Idee dahinter oder die Kraft, die die Häuser, geschaffen hat.‘“

(Porträt von Michelle Habermehl und Fabian Janssen)

Der Waldspaziergang mit Prominenz

Mittlerweile ist der „Waldspaziergang“ im „Camp Oben“ angekommen. Die Polizei marschiert wieder auf, die Aktivist:innen sammeln sich vor den neu errichteten Barrikaden und beginnen Reden zu halten. Heute sind auch bekannte Gesichter aus verschiedenen Umwelt- und Klimabewegungen dabei. Peter Wohlleben, Deutschlands wohl bekanntester Förster und Luisa Neubauer, das Gesicht von Fridays for Future. Sie versucht Mut zu machen und unterstreicht, was Haselmaus zum Schluss gesagt hat.

[…] „Und Menschen möchten an diesem Ort eine Geschichte, eine Geschichte des Versagens schreiben, weil sie sagen, der Wald ist gefallen. Und Menschen möchten uns scheitern sehen, Menschen möchten, dass der Widerstand zerbricht, Menschen warten darauf, dass wir einpacken und nach Hause gehen.

Menschen wollen, dass wir aufhören. Menschen wollen, dass wir verzagen, sie wollen, dass wir einpacken. Ja, auch ihr da drüben in Schwarz, wir wissen es. Aber, das geben wir ihnen nicht, das geben wir ihnen nicht, das kriegen sie nicht.

Denn was hier erwächst, das ist viel stärker, das ist viel größer als all das, das ist viel größer als der Hass, das ist viel größer als der fossile Kapitalismus. Das ist viel größer als das was die Rückwärtsgewandten so dringend wollen. Das ist so viel größer als der Status Quo, der eine riesengroße Krise ist. Das ist so viel größer als die ganzen Ungerechtigkeiten, die wir ertragen. Es ist so viel mehr und wir machen es und hier fängt es an.“ […]

(Auszug aus der Rede Luisa Neubauers im Dannenröder Forst am 6. Dezember 2020)

Das Publikum ist bunt gemischt. Vom Kleinkind bis zum Junggebliebenen ist alles an Menschen vertreten. Ein älteres Ehepaar lauscht gespannt allen Reden, irgendwie fallen sie uns besonders auf.

„Wir sind aus der Region, wir kommen aus Marburg, mein Mann ist Stadtallendorfer. Wir lieben die Natur und wir haben das eigentlich immer verfolgt und sind seit einigen Monaten hier, um einfach die jungen Menschen zu unterstützen, die wir sehr bewundern“, sagt Susanne, die neben ihrem Mann Klaus steht. In den letzten Wochen haben sie sich intensiv über das Thema informiert und möchten für die Zukunft ihrer Enkel eintreten.

„Weil das mit dem Klima nicht gut aussieht und das merkt man im Alltag ganz konkret, wenn man einen Garten hat, und wir haben einen Garten, und sieht, wie dieses Waldsterben voranschreitet. Man möchte ja der kleinen Generation, die ja heranwächst, ja auch was gesundes hinterlassen. Und das ist die Natur und das ist das Wasser und das ist die Luft, die sauber sein sollte und gesund sein sollte. Nicht nur für meine Enkel, sondern einfach für alle in der ganzen Welt. Und das ist uns ein großes Anliegen.“

Mit den Gedanken über die Zukunft aller laufen wir noch ein wenig umher und beobachten das rege Treiben im Wald. Einige diskutieren, über die Geschehnisse des letzten Tages, mit den Deeskalations- und Social-Media-Teams der Polizei, andere machen Musik und stimmen Lieder an. Die Aktivist:innen stapeln weiter Holz auf die neuen Barrikaden, die nun einen Kreis um die verbleibenden Bäume in der Schneise bilden.

Gedanken die bleiben

Am Ende des Wochenendes kriechen einige Fragen im Kopf herum: Wie sollte eine Gesellschaft aussehen, in der nachhaltig gewirtschaftet wird? Und wie wird dieser Kampf am Ende aussehen, wenn sich für einen kleinen Wald hunderte Aktivist:innen über Monate tausenden Einsatzkräften entgegenstellen, ungeachtet von Risiken. Wie wird der Kampf ausehen, wenn weiterhin jeden Freitag tausende Schüler:innen auf die Straße gehen und es immer mehr werden, die aufstehen, sich aber gleichzeitig nichts grundlegendes an aktuellen politischen Handlungen ändert? Wie schaffen wir eine Gesellschaft, die alle Generationen gleich berücksichtigt? Wo steht die Gesellschaft dann am Ende?

SMS am morgen

P.S.: Montag früh um 7:03 Uhr wird mich eine SMS wecken. Haselmaus schreibt, ob wir noch in der Nähe wären. Die Polizei sei um sechs Uhr ins „Camp Oben“ eingefallen. Völlig aus der Reihe. Sie haben die Morgen Stunden genutzt, in denen die meisten noch erschöpft vom Kampf, der letzten Tage, geschlafen haben und die meisten Bäume unbesetzt waren. Ein altbewährte Taktik in jedem Krieg. Jetzt wird alles sehr schnell gehen.

Ende.

 

 

Quellen:

Ein subjektiver Eindruck von einem Wochenende Dannenröder Forst, Interviews und Gehörtes.

 Weitere Quellen:

https://vogelsberg.bund.net/aktuelles-blog/

https://www.hessenschau.de/gesellschaft/wie-gefaehrlich-wird-der-a49-ausbau-fuer-das-grundwasser,grundwasser-autobahn-mittelhessen-100.html

https://www.deutschlandfunk.de/proteste-im-dannenroeder-forst-autobahnbau-gegen-klimaschutz.724.de.html?dram:article_id=488690

https://de.wikipedia.org/wiki/Dannenr%C3%B6der_Forst

https://www.hessenschau.de/a49-gegner-kuendigen-nach-raeumung-im-dannenroeder-forst-weiteren-widerstand-an,a49-protest-104.html

https://www.zeit.de/campus/2020-12/dannenroeder-forst-rodung-aktivismus-protest-polizei-kritik

https://osthessen-news.de/n11640746/nach-krafteraubendem-einsatz-im-danni-sonderzahlung-und-sonderurlaub.html

https://www.hessenschau.de/panorama/dannenroeder-forst-ticker-100.html